Zu Besuch bei einem Sámi in Jokkmokk

Heute haben wir einen Sami besucht, den wir auf unserer Skitour durch den Padjelanta Nationalpark kennengelernt haben. Es war schön sich wiederzusehen. Beim gemeinsamen Kaffeetrinken am Nachmittag haben wir einige interessante Einblicke in das heutige Leben der Sami bekommen.

Das erste Mal haben wir Bengt auf der Laddejahkka Hütte getroffen. Er war uns auf Anhieb sympathisch. Während wir in der Hütte im Rahmen unserer Skitour Zuflucht gesucht hatten, war er dorthin ausgewichen, weil sein Sommerhaus im Padjelanta überschwemmt worden war. Um während der mehrtägigen Renovierungsarbeiten eine warme Bleibe zu haben, wichen Bengt und seine Freunde auf die Laddejahkka Hütte aus.

Wenige Tage später sind wir von Ritsem über Jokkmokk nach Sulitjelma zurückgetrampt. An der Tankstelle in Jokkmokk haben wir dabei Bengt wiedergetroffen und er hat uns eingeladen, ihn in Jokkmokk oder ab Juli in seinem Sommerhaus zu besuchen. Heute haben wir ihn spontan mit einem Besuch zum gemeinsamen Kaffeetrinken überrascht. Bei Kaffee, Eis mit heißen Moltebeeren, Schokoladenkuchen und geräuchertem Rentierfleisch haben wir uns fast zwei Stunden auf seiner Terrasse unterhalten. Dabei haben wir viele interessante Einblicke in das heutige Leben der Sámi erhalten.

Bengt wohnt im Winter in Jokkmokk, seine Rentiere weiden im Winter östlich von Jokkmokk im Wald. Dort finden die Tiere auch im Winter ausreichend Nahrung und sind vor den in den Bergen lebenden Raubtieren (Vielfrass, Adler, Bär etc.) geschützt. Im Frühling treibt Bengt seine und andere Tiere gemeinsam mit weiteren Sámi Familien Richtung Westen in die Berge. Sobald dort der Schnee schmilzt, finden die Tiere auch in den Bergen genügend zu essen. Im Sommer zieht Bengt dann für zwei bis drei Monate in seine Sommerhütte im Bergland des Padjelanta. Geht es im Herbst wieder auf den Winter zu, vollzieht sich die Wanderung rückwärts – zurück in die tieferen Lagen der Wälder Nordschwedens bzw. zurück in Bengts Winterhaus in Jokkmokk.

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Das Treiben der Tiere ist trotz des Einsatzes von Schneemobilen und Fahrzeugen eine mühsame Arbeit. Zum Ende des Winters gilt es die Rentiere in den weiten Wäldern zu finden und zusammenzutreiben. Dann setzt im Frühjahr die schrittweise Wanderung Richtung Berge ein. Bengt und seine Kollegen begleiten die Tiere auf diesem Weg, notfalls zu Fuß. Übernachtet wird wenn möglich daheim oder unterwegs in Zelten oder Sámi Hütten in den Bergen.

Wichtig ist, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen – wann sollen die Tiere hinauf ins Bergland getrieben werden? Treiben die Sámi ihre Rentiere zu früh ins Bergland, finden diese kein Futter, weil es noch zuviel Schnee hat. Dann muss teures Futter eingekauft und zu den Tieren transportiert werden. Treiben Bengt und seine Kollegen die Tiere aber zu spät in die Berge, trägt die Schneedecke nicht mehr, die Flüsse können nicht mehr überquert werden. Die Rentiere müssen dann per Fahrzeug und Helikopter ans Ziel gebracht werden. Auch dies verursacht hohe Kosten und schmälert die eigentlich notwendigen Einnahmen der Sámi.

Die Winter werden immer wärmer und der Schnee im Frühjahr immer weicher. Das macht die Arbeit der Sámi ungleich schwieriger wie früher. Bengt erzählt uns, dass er heute schon um vier Uhr morgens aufgebrochen ist, um die morgendliche Kälte zu nutzen. Nur zu dieser Tageszeit trägt die Schneedecke noch sein Schneemobil und ermöglicht effizientes Arbeiten. Ab Mittag wird das Fahren mit dem Schneemobil anstrengend und gefährlich, da es im weich gewordenen Schnee schneller umkippt oder sich festfährt. Bengts Frau erklärt uns, dass sie dann lieber die Ski nimmt, denn das Fahren mit dem Schneemobil sei zu anstrengend und gefährlich für Sie.

Die wärmeren Winter führen dazu, dass die Flüsse und Bäche im Wald ihre Eisdecke früher verlieren und nicht mehr passierbar sind für die Rentierherde und die Schneemobile. Morgen werden Bengt und andere Sámis sich wieder früh morgens auf den Weg machen – in der Hoffnung noch einen Übergang über den Luleälv, einen großen Fluss bei Jokkmokk, zu finden. Ansonsten bleibt nur die Alternative, die Tiere per Fahrzeug zur nächsten Brücke und danach zu einem passenden Ort zum Fortsetzen der Wanderung zu bringen. Als wir auf der Weiterfahrt den Luleälv passieren, blicken wir auf das pechschwarze Eis unterhalb des Staudammes – Sprünge ziehen sich durch die Eisdecke und teilweise gurgelt das offene Wasser gefährlich reißend zwischen den Eisschollen.

Aber nicht nur der Klimawandel macht den Sámi zu schaffen. Bengt beschreibt uns, dass er und seine Arbeitskollegen neben den Schneebedingungen auf die Gefahren der Zivilisation achten müssen: Straßen und Eisenbahnlinien müssen überquert werden, Bergbaustätten und Minen sind zu meiden, instabiles Eis auf Gewässern in der Nähe von Wasserkraftwerken verhindert die Überquerung. Überall lauern große Gefahren für seine Rentiere. Deshalb begleitet er die Wanderung der Herde tagtäglich Richtung Westen und muss viele Wochen hintereinander sehr früh aufstehen. Auch wenn Bengt das nicht so sieht und sich vermutlich schon längst mit dieser Realität abgefunden hat – mich überrascht es mal wieder mit aller Wucht, wie stark die moderne Besiedlung existierende Wirtschafts- und Ökosysteme stört. Bei uns hochgelobt als nachhaltige Energieerzeugung durch Wasserkraft  – für den Lebensstil der Sámi sind Errungenschaften wie Wasserkraftwerke ein starker Eingriff in die Lebensgrundlage. Das macht einen doch sehr nachdenklich und ruft bei uns beiden Zweifel an der wahren Nachhaltigkeit hervor.

Im Herbst, wenn die Rentiere wieder zurück in tiefere Lage wandern, und manchmal auch im Frühjahr, suchen die Sámi Tiere für die Schlachtung aus. Diese werden dann größtenteils an Schlachtbetriebe verkauft und dort für die Lebensmittelindustrie aufbereitet. Der Großteil dessen, was ein Konsument für das Fleisch bezahlt, landet dabei nicht bei den Sámis. Die Situation ist mit den Bauern in Deutschland vergleichbar – die Produzenten kämpfen aufgrund von Klimawandel und Zivilisation einen immer härteren Kampf, aber die Vergütung sinkt dabei eher. Der Löwenanteil bleibt bei den Zwischenhändlern und Supermarktketten. Es juckt mich in den Fingern, mein Onlinemarketing-Knowhow einzusetzen und den vielen Sámi-Familien, mit denen sich Bengt zusammengeschlossen hat, eine Direktvermarktung über Onlinevertrieb vorzuschlagen…

Die Sonne neigt sich dem Horizont entgegen und die nachmittägliche Wärme der Terrasse weicht einer eisigen Kälte. Wir gehen ins Haus, tauschen unsere Telefonnummern aus und verabschieden uns. Bengt und seine Frau wünschen uns eine gute Weiterreise Richtung Nordnorwegen und wir machen aus, dass wir die beiden in ihrem Sommerhaus im Padjelanta besuchen. Zum Abschied schenkt uns Bengt eine lokale Delikatesse: zwei Stück geräuchertes Rentier-Herz. Bereichert und zugleich nachdenklich setzen wir unseren Weg Richtung Nordnorwegen fort.

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About Daniel Amersdorffer

Daniel wurde 1983 geboren und startete mit 13 Jahren seine erste Radtour über die Alpen. Bis heute empfindet er das größte Glück, wenn er sportlich in der Natur unterwegs ist - auf dem Mountainbike, zu Fuß, mit dem Kajak, mit Skiern (und Pulka), im Zelt oder auf einsamen Gebirgshütten im Fjell. Wind, Schnee und rauhe Landschaften sind für ihn die drei Zutaten für einen gelungenen Urlaub.

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